Über den Weißstorch lagen für das Gebiet des Altkreises Hofgeismar seit mehr als 60 Jahren keine Brutnachweise vor. Die letzten besetzten Horste gab es vor dem Zweiten Weltkrieg an Diemel und Esse. Am Oberlauf der Weser wird seit 100 Jahren kein Storch mehr gebrütet haben. Deshalb war die Überraschung groß, als Anfang Mai 1998 in Reinhardshagen-Vaake ein Storchenpaar auftauchte und sofort begann, auf dem Schornstein der ehemaligen Fassfabrik in rund 30 m Höhe einen Horst zu errichten.
Die verzweifelten Versuche scheiterten aber an einem rund zwei Meter hohe Reduzierstück auf der Abdeckung des Schornsteinkopfes. So blieben den Vögeln für den Horstbau nur kleine Segmente von rund 60 Zentimetern Kantenlänge. Die von den Störchen angeflogenen Äste fielen also sofort wieder in die Tiefe. Zum Glück fand sich noch am gleichen Tag eine Gruppe von Naturfreunden zusammen. Ein Dachdeckermeister aus Dransfeld inspizierte die Schornsteinabdeckung. Freiwillige fertigten aus Baustahlgewebe eine Unterlage, die am nächsten Abend angebracht und sofort von den Störchen angenommen wurde. In kurzer Zeit hatten die beiden Altvögel ihren Horst errichtet, balzten fleissig, das Weibchen legte offensichtlich Eier.
Die Begeisterung im Dorf und in der weiteren Umgebung war ungeheuer groß und wuchs noch, als einige Wochen später drei junge Störche im Horst zu erkennen waren. Als im September die Storchenfamilie die Reise in den Süden antrat, hatte in Vaake eine inzwischen zehnjährige Tradition ihren ersten Sommer überstanden.
Die folgenden Jahre
Im Winter 1998/99 gestattete der damalige Eigentümer des Schornsteins den Storchenfreunden, das Reduzierstück in Horsthöhe abzutrennen. Nun hatten die Vögel eine unbeschränkte Bewegungsfreiheit.
Die Bruterfolge in den Storchensommern der letzten dreizehn Jahre finden sich in der Tabelle.
Jahr |
Ankunft der Altvögel |
Brut und Zahl der Jungvögel |
Zahl der aus- geflogenen Jungvögel |
Ausflug- datum |
Abflug- datum |
Bemerkungen |
1998 | 4.Mai | ja, 3 | 2 | 18.08. | 07.09. |
1 Jungstorch tot aus dem Horst geworfen |
1999 |
16.+29. April |
ja, 3 |
3 |
02.bis 09.08 |
31.08. | |
2000 |
11.+25. April |
ja, 2 |
2 |
30.07 + 06.08. |
24.08.+ 04.09. |
|
2001 |
20.+23. Mai |
nein | 0 | - |
29.08 |
„Storchenkrieg“ von Vaake |
2002 |
25. April + Ende Mai |
nein | 0 | - |
16.08 |
keine Paarung |
2003 |
14. April + 10. Mai |
ja, 3 |
3 |
19. + 23.08. |
03.09 |
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2004 | 18. April |
ja, 5 |
5 |
26.07.bis 06.08. |
01.09 |
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2005 |
21. April |
nein | 0 | - |
- |
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2006 |
17. + 26. April |
ja, 4 |
4 |
07. + 11.08. |
16.08 |
Einzelstorch |
2007 |
29. März + 6. April |
ja, 1 |
1 | 01.08. |
28.08 |
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2008 |
31. März + 1. April |
ja, 3 |
3 |
19. + 22.07. |
18.08 |
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2009 |
31. März + 6. April |
ja, ??? | 0 | entfällt | 08.08. |
tödlicher Verkehrsunfall Männchen |
2010 |
14. + 19. April |
ja, ??? | 0 |
entfällt |
entfällt |
|
2011 | entfällt |
entfällt |
entfällt |
entfällt |
entfällt |
entfällt |
2012 | 12. April | ja, 3 | 0 | 3. Mai |
Horstrivalen werfen Auspolsterung mit 3 Eiern aus dem Nest und vertreiben das Storchenpaar |
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2013 | keine Ansiedelung | |||||
Der Horst war also jeweils während der Saison in jedem Jahr besetzt. Allerdings fand in drei Jahren keine Brut statt. Unerfreulich verlief das Frühjahr 2001. Seine Ereignisse sorgten in der Storchenszene für bundesweites Interesse. Im Sommer zuvor wurde auf einem Haus in Vaake eine Plastikattrappe aus zwei Störchen auf einem Kunsthorst angebracht. Ein Altstorch war aus dem Süden heimgekehrt, besetzte seinen Horst und kam in Balzstimmung. Die Attrappe verwirrte ihn so, dass er seinen Horst täglich für bis zu zehn Stunden verließ, um sich intensiv mit der Attrappe zu beschäftigen. Die Erregung in der Bevölkerung war ungeheuer groß. Selbst das Fernsehen berichtete darüber. Als die Attrappe endlich abmontiert worden war, benötigte der Storch zwei Tage, um seinen Rhythmus wieder zu finden. Für eine reguläre Paarung war es nun zu spät. Der Nachwuchs blieb in diesem Jahr aus.
Im Folgejahr 2002 kam es ebenfalls nicht zu einer erfolgreichen Paarung. Leider wiederholte sich dies auch im Jahr 2005.
Um welche Störche handelt es sich?
Die bisher geschlüpften 21 Jungstörche sind nicht beringt worden. Ebenso trug keiner der Altvögel einen Ring. Deshalb kann man keine exakten Angaben zu den Biographien dieser Vögel machen. Lediglich durch das Verhalten der Vögel lassen sich einige Hinweise verwerten. Deshalb weiß man, dass mehrmals Vögel gebrütet haben, die im Vorjahr schon in Vaake gewesen sein müssen. Da Störche lediglich eine Saisonehe führen, kann man auf keinen Fall davon ausgehen, dass die Eltern der letzten zehn Jahre immer identisch gewesen sind.
Wovon leben die Störche?
Eine Storchenfamilie benötigt als Lebensraum 200 bis 300 Hektar Feuchtgrünland. Die gibt es in Reinhardshagen und Hemeln nicht. Die Verhältnisse verschlechtern sich sogar ständig. Seit 1998 sind weitere Grünlandflächen umgebrochen worden. Man hat Gräben vertieft und sogar Drainagen verlegt. Der Maisanteil nahm zu. Die ungünstigen Biotopverhältnisse waren den heimischen Storchenfreunden sofort bewusst. Ihnen war auch bekannt, dass Störche bei Nahrungsmangel häufig den Horst aufgeben und sogar die Jungvögel aus dem Nest werfen. Deshalb ist durch regelmäßiges Zufüttern die Lebensgrundlage abgesichert worden. Ein weiterer Grund für diese Maßnahme war, dass die Störche versucht hatten, überfahrene Tiere von den Straßen zu holen und dabei in Unfallgefahr gerieten.
Nisthilfen
Bereits im ersten Jahr 1998 führte die erfolgreiche Brut in Vaake zu Überlegungen, durch Aufstellen von Kunsthorsten weitere Paare in unserer Region anzusiedeln. Deshalb findet man heute in Hemeln, Weißehütte, Gieselwerder, Wülmersen, Deisel, Trendelburg, Hümme und Hombressen geeignete Einrichtungen. Zu einem Brutversuch ist aber dort noch nicht gekommen. In Reinhardshagen selbst dürfte der Lebensraum für ein weiteres Paar nicht ausreichen.
Die Störche und die Bürger
Die Vaaker Störche sind ein fester Bestandteil der Region geworden. Die außergewöhnliche Popularität dieser Vogelart bestätigte sich auch hier. Die Medien berichten regelmäßig und machten die „nördlichsten Störche Hessens“ praktisch bundesweit bekannt. Busfahrer und die Kapitäne der Ausflugsdampfer auf der Weser weisen ihre Gäste auf die Sehenswürdigkeit hin. Die Bürgerinnen und Bürger des Dorfes sind stolz auf „ihre“ Störche. Eine große Anhängerschar aus der weiteren Umgebung besucht den Horst regelmäßig und verfolgt das Geschehen. Für die Popularität des Dorfes liefern die Störche einen deutlichen Positivbeitrag.
Ein Blick in die Zukunft
Die Naturschutzfreunde in der Region sind zuerst einmal glücklich, dass es überhaupt zu einer zehnjährigen Tradition gekommen ist. Das konnte 1998 niemand prognostizieren. Die Situation des Lebensraumes wird sich nicht verbessern. Der Strukturwandel von der bäuerlichen Landwirtschaft hin zur industriellen Agrarkultur ist auch in Reinhardshagen in vollem Gange. Die Konzentration der Agrarproduktion in Richtung nachwachsende Rohstoffe für die energetische Nutzung der Pflanzen wird die Biotopqualität noch einmal dramatisch verschlechtern. Wie lange die Störche weiterhin nach Reinhardshagen kommen werden, weiß niemand.
Eine weitere Unsicherheit liegt im Eigentümerwechsel des Schornsteins. Ohne die aus Storchensicht wohl besonders attraktiven Verhältnisse, die dieses Bauwerk bietet, hätte es in Vaake keinen Horstbau gegeben. Deshalb hoffen alle Storchenfreunde, dass sich an der positiven Einstellung der für das Bauwerk Verantwortlichen auch in Zukunft nichts ändern wird.